Sokrates über den Wert von Freunden
Es überrascht mich sogar noch mehr, dass jemand glauben könnte, Sokrates
sei ein Verführer junger Männer gewesen. Sokrates, der nüchternste und
keuscheste aller Männer, der fröhlich sowohl Kälte als auch Hitze ertrug; den
keine Unannehmlichkeit, keine Nöte, keine Mühe abschreckte und der es gelernt hatte,
sich so wenig zu wünschen, dass er, obwohl er kaum etwas hatte, immer genug
hatte. Wie hätte er dann Gottlosigkeit, Ungerechtigkeit, Unreinheit und Luxus
predigen können? Und er war so weit entfernt, solches zu tun, dass er viele Menschen
von diesen Lastern wieder abbringen konnte, indem er sie mit der Liebe zur
Tugend inspirierte und Ihnen die Hoffnung eingab, dass sie hier seien, um die Welt
voranzubringen - vorausgesetzt, sie würden ein wenig auf sich selbst achten. Dennoch
versprach er nie irgendeinem Mann, ihn Tugendhaftigkeit zu lehren; da er jedoch
ein öffentliches Tugendgelübde ablegte, schuf er im Geist jener, die mit ihm
Umgang pflegten, die Hoffnung, durch sein Vorbild tugendhaft zu werden. Er
vernachlässigte seinen eigenen Körper nicht und pries nicht die, die den ihren
vernachlässigten. Auf gleiche Weise tadelte er die Angewohnheit mancher, zu
viel zu essen und danach heftige sportliche Übungen durchzuführen; er billigte
es jedoch, so viel zu essen, bis die Natur befriedigt sei, und danach maßvoll
Sport zu treiben, weil er glaubte, dass das der Gesundheit zuträglich sei und
den Geist entspannen und ablenken könne. Seine Kleidung war weder schön noch kostspielig;
und was ich von seiner Kleidung sage, so sollte auch sein ganzer Lebensstil verstanden
werden. Niemals wurde irgendeiner seiner Freunde begehrlich wenn er sprach, und
er holte sie weg von dieser schäbigen Einstellung, und auch von allen anderen; denn
er akzeptierte keine Zuwendungen von irgendeinem, der sich mit ihm unterhalten
wollte, und sagte, dass dies der Weg sei, ein edles und großzügiges Herz zu
entdecken, und das jene, die Belohnungen annehmen, eine Gemeinheit der Seele preisgeben
und sich selbst verkaufen, weil sie sich selbst die Notwendigkeit auferlegen, die
zu unterrichten, von denen sie ein Gehalt empfangen. Er fragte sich
gleichermaßen, warum ein Mann, der verspricht, Tugendhaftigkeit zu lehren, um
Geld bitten, sollte, als glaube er nicht dass der größte aller Gewinne im
Erwerb eines guten Freundes läge oder als ob er fürchtete, dass derjenige, der
durch seine Hilfsmittel tugendhaft geworden sei und ihm wegen eines so großen Nutzens
verpflichtet sei, nicht ausreichend dankbar sein könne. Ganz anders als
Sokrates, der sich niemals solcher Dinge rühmte und der sehr sicher war, dass
alle, die ihn hörten und seine Leitsätze empfingen, ihn für immer lieben würden
und auch fähig wären, andere zu lieben. Wer danach sagt, dass ein solcher Mann die
Jugend verführte, muss gleichzeitig sagen, dass das Studium der Tugend Verkommenheit
sei. Aber der Ankläger sagt, Sokrates lehrte, die Verfassung zu verachten, die
in der Republik eingeführt war, weil er bestätigte, dass es Unsinn sei,
Amtsträger durch das Los zu wählen. Da jemand, der einen Piloten, einen Musiker
oder einen Architekt bräuchte, kein Risiko eingehen und irgendjemanden nehmen würde,
obwohl die Fehler, die von Männern mit solchen Fähigkeiten begangen werden
können, weitaus weniger Bedeutung haben als die, die in der Regierung der
Republik begangen werden. Er sagt daher, dass solche Argumente auf
unvernünftige Weise die Jugend daran gewöhnen, die Gesetze zu verachten, sodass
sie dreister und brutaler würde. Aber meiner Meinung nach werden jene, die die
Kunst der Besonnenheit studieren und glauben, dass sie die Befähigung erwerben
sollten, ihren Mitbürgern gute Ratschläge und Beratung zuteil werden zu lassen,
selten Männer von brutaler Gemütsart; denn sie wissen, dass Gewalt hasserfüllt und
voller Gefahr ist; während andererseits, durch Überzeugung zu gewinnen, voller
Liebe und Sicherheit ist. Denn die, die wir gezwungen haben, hegen uns
gegenüber einen geheimen Hass, weil sie glauben, wir hätten ihnen Unrecht
getan; jene aber, denen gegenüber wir uns die Mühe gemacht haben, sie zu
überzeugen, bleiben weiterhin unsere Freunde, weil sie glauben, dass wir ihnen
etwas Gutes getan haben. Es sind daher nicht die, die sich dem Studium der
Besonnenheit hingeben, die gewalttätig werden, sondern jene gefühllosen
störrischen Gemüter, die viel Macht in ihren Händen halten, aber wenig
Urteilsvermögen, sie einzusetzen. Er sagte weiterhin, dass ein Mann, der etwas
mit Gewalt durchzuführen wünsche, viele Freund haben muss, die ihm helfen: während,
im Gegensatz dazu, derjenige, der überzeugen kann, niemand anderen als sich
selbst braucht und kein Blut vergießen muss; denn wer würde lieber einen Mann töten
wollen, statt sich seine Dienste zu Nutzen zu machen, wenn er sich seine
Freundschaft und sein Wohlwollen durch Milde erworben hat? Der Ankläger fügt als
Beweis für die krankhafte Tendenz der Lehre Sokrates’ hinzu, dass Critias und
Alcibiades, die zwei seiner intimsten Freunde waren, sehr schlechte Menschen
waren und ihrem Land viel Schaden zufügten. Denn Critias war der
unersättlichste und grausamste aller dreißig Tyrannen; und Alcibiades der
zügelloseste und unverschämteste und unverfrorenste Bürger, den die Republik jemals
hatte. Was mich angeht, so gebe ich nicht vor, sie zu rechtfertigen, und werde
nur erzählen, aus welchem Grund sie mit Sokrates Umgang pflegten. Sie waren
Männer von grenzenlosem Ehrgeiz, fest entschlossen, - koste es was es wolle - den
Staat zu regieren und von sich reden zu machen. Sie hatten gehört, dass
Sokrates sehr zufrieden mit wenig oder nichts lebte, dass er seine
Leidenschaften beherrschte und dass seine Gedankengänge so überzeugend waren, dass
er alle Menschen auf die Seite zog, die ihm gefiel. Da sie darüber nachdachten und
den erwähnten Charakter hatten, kann da angenommen werden, dass sie die
Bekanntschaft mit Sokrates wünschten, weil sie sich in seine Lebensführung und
in seine Mäßigung verliebt hatten oder weil sie glaubten, dass sie sich, wenn sie
sich mit ihm unterhielten, in die Lage versetzen könnten, gut zu argumentieren und
die öffentlichen Angelegenheiten gut zu führen? Ich glaube, dass sie, wenn die
Götter ihnen vorgeschlagen hätten, immer so wie er zu leben oder sofort zu
sterben, einen plötzlichen Tod gewählt hätten. Und das kann man leicht aus ihren
Handlungen ableiten; denn sofort, als sie sich für fähiger hielten als ihre
Kameraden, gaben sie Sokrates auf, mit dem sie nur aus dem Grund, den ich
erwähnt habe, Umgang pflegten und warfen sich gänzlich ins Geschäft. Es mag
vielleicht der Einwand erhoben werden, dass er mit seinen Freunden nicht über
Dinge hätte sprechen dürfen, die sich auf die Regierung des Landes bezogen,
bevor er sie nicht gelehrt hatte, tugendhaft zu leben. Dazu habe ich nichts zu
sagen, aber ich beobachte, dass alle, die lehren, gemeinhin zwei Dinge tun: Sie
arbeiten in Anwesenheit ihrer Schüler, um ihnen zu zeigen, wie sie es tun
sollten, und sie unterweisen sie ebenfalls mündlich. Auf diese beiden Arten hat
noch nie jemand gelehrt, gut zu leben, wie Sokrates; denn in seinem ganzen Leben
war er ein Beispiel für makellose Redlichkeit; und in seinen Reden sprach er
von Tugend und von allen Pflichten des Menschen auf eine Weise, die ihm bei all
seinen Zuhörern Bewunderung eintrug. Und ich weiß sehr gut, dass Critias und
Alcibiades sehr rechtschaffen lebten, so lange sie mit ihm Umgang pflegten; nicht
dass sie Angst vor ihm hatten, sondern sie hielten es für sehr dienlich für
ihre Zwecke zu jener Zeit so zu leben. Viele, die Philosophie vorspiegeln, werden
hier einwenden, dass eine tugendhafte Person immer tugendhaft ist und dass ein
Mann, wenn er einmal gut maßvoll geworden ist, nachher niemals mehr niederträchtig
oder liederlich wird; denn Gewohnheiten, die erworben werden können, können
niemals mehr aus dem Sinn gelöscht werden, wenn sie einmal da sind. Ich bin
aber nicht dieser Meinung, genau wie Menschen, die keinen Sport treiben,
ungeschickt und schwerfällig sind in ihren körperlichen Aktionen, sind die, die
ihren Verstand nicht trainieren, nicht zu edlen Handlungen des Verstandes fähig
und haben nicht genug Mut, irgendetwas durchzuführen, das lobenswert wäre, und
haben nicht genug Selbstbeherrschung, sich von den Dingen zurückzuhalten, die
verboten sind. Aus diesem Grund kommen Eltern, auch wenn sie sich ausreichend
der guten Veranlagung ihrer Kinder versichert haben, nicht umhin, ihnen das
Gespräch mit den Bösen zu verbieten, weil es der Ruin ordentlicher Anlagen ist,
wohingegen die Konversation mit guten Menschen eine fortgesetzte Meditation
über die Tugend ist. Daher sagt ein Dichter: „Wir werden immer von jenen geführt,
mit denen wir Umgang haben: Das Beispiel ist ein Gesetz, das alle befolgen. Daher
sind wir bei den Guten zum Guten hingeneigt, aber bösartige Gesellschaft verdirbt
den Verstand.” Und noch etwas Ähnliches: „Tugend und Laster sind in demselben
Menschen zu finden. Und manchmal gewinnen sie und manchmal verlieren sie an
Boden.” Und meiner Meinung nach haben sie Recht: denn wenn ich mir anschaue, dass
diejenigen, die Verse auswendig gelernt haben, diese vergessen, wenn sie sie
nicht oft wiederholen, so glaube ich, dass die, die die Beweisführung der Philosophen
vernachlässigen, auf unvernünftige Art die Erinnerung an sie verlieren; und
wenn sie diese ausgezeichneten Gedanken ihrem Denken entschlüpfen lassen,
verlieren sie gleichzeitig die Vorstellung von den Dingen, die in der Seele die
Liebe zur Mäßigung unterstützen. Und wenn sie diese Dinge vergessen haben, was
nimmt es wunder, wenn sie auf die Dauer ebenfalls die Mäßigung vergessen? Ich
beobachte außerdem, dass Menschen, die sich selbst einer ausschweifenden Lebensweise
mit Wein oder Frauen hingeben, es schwieriger finden, sich für Vorteilhaftes
einzusetzen und sich schädlicher Dinge zu enthalten. Denn viele, die bescheiden
leben, bevor sie sich verlieben, werden verschwenderisch, wenn die Leidenschaft
sie beherrscht - dermaßen, dass sie nach der Verschwendung ihres Besitzes darauf
angewiesen sind ihr Brot mit Methoden zu verdienen, für die sie sich vorher
geschämt hätten. Was hindert dann einen Menschen, der einst maßvoll war, daran,
länger so zu sein und denjenigen, der einst ein gutes Leben führte, das
weiterhin zu tun? Ich denke, es liegt daran, dass das Wesen aller Tugenden und
hauptsächlich der Mäßigung davon abhängig sind, dass man sie ausübt, denn die
Lust, die mit der Seele in demselben Körper weilt, treibt sie ständig dazu an, die
Tugend zu verachten und den kürzesten Weg zu finden, nur die Sinne zu
befriedigen. Auf diese Weise waren Alcibiades und Critias, wenn sie mit
Sokrates sprachen, in der Lage mit dieser großen Hilfe, ihre Neigungen zu
bezähmen; aber als sie ihn verlassen hatten, ruinierte Critias, der in Thessaly
im Ruhestand war, sich vollständig durch den Umgang mit einigen Wüstlingen; und
Alcibiades, dem von einigen Frauen von Format wegen seiner Schönheit der Hof
gemacht wurde, und der durch die wohltuenden Schmeichler, die ihn umwarben, verdorben
wurde und angesichts des Vertrauens und der Verbündeten, die er in der Stadt
hatte, also mit einem Wort von allen Athenern geachtet wurde, und es keinen
gab, der ihm dem ersten Rang streitig machte, fing an, sich zu vernachlässigen,
und handelte wie ein großer Ringer, der sich nicht die Mühe macht zu
trainieren, wenn er keinen Gegner mehr findet, der es wagt, es mit ihm
aufzunehmen. Wenn wir daher all das prüfen, was ihnen geschehen ist; wenn wir
in Betracht ziehen, wie sehr ihre erhabene
Geburt, ihre Interessen und ihr Reichtum ihre Denkweise aufgeplustert hatten;
wenn wir überlegen, welchen schlechten Umgang sie hatten und wie viele
Gelegenheiten sie hatten, sittlich zu verkommen, können wir dann überrascht sein,
dass sie schließlich nach so langer Abwesenheit von Sokrates ein solches Maß an
Dreistigkeit erreichten, wie man es bei ihnen gesehen hat? Wenn sie Verbrechen
verübt haben, bürdet der Ankläger sie Sokrates auf und hält ihn nicht des Lobs würdig
dafür, dass er sie während ihrer Jugend in ihren Schranken hielt, wenn sie
allem Anschein nach besonders unordentlich und am wenigsten lenkbar gewesen
wären. Andere Dinge beurteilen wir jedoch so nicht; wir jedoch so nicht; denn wer
würde behaupten, dass ein Musiker, ein Lautenspieler oder eine andere Person, die
lehrt, wenn sie einen Schüler gut ausbildet hat, dafür getadelt werden müsste, dass
jener unter der Fürsorge eines anderen Meisters immer unwissender wird? Wenn
ein junger Mann eine Bekanntschaft macht, die ihn in ein liederliches Leben
führt, sollte sein Vater die Schuld dann den ersten Freunden seines Sohnes
geben, unter denen er immer tugendhaft lebte? Das ist nicht richtig. Im
Gegenteil: Je mehr er sieht, dass diese letzte Freundschaft sich als zerstörerisch
für ihn erweist, desto mehr Grund hat er, die früheren Freunde zu preisen. Und
haben die Väter selbst, die täglich mit ihren Kindern zusammen sind, Schuld an
deren Fehlern, wenn sie ihnen kein schlechtes Beispiel geben? So hätten sie
Sokrates beurteilen müssen; wenn er ein schlechtes Leben geführt hätte, wäre es
vernünftig gewesen, ihn als böse zu erachten; wenn er aber gut war, geschah es
nur, ihn Verbrechen zu beschuldigen, deren er unschuldig war? Und dennoch hätte
er seinen Gegnern Grund gegeben, ihn anzuklagen, wenn er die Laster, deren er
sich enthielt, bei anderen gebilligt hätte oder es so erschienen wäre, oder es
so erschienen wäre als würde er sie billigen. Aber Sokrates verabscheute Laster
nicht nur bei sich selbst, sondern bei jedem. Um das zu beweisen, brauche ich
nur von seinem Verhalten gegenüber Critias zu erzählen, einem Mann, der der Ausschweifung
extrem ergeben war. Als Sokrates wahrnahm, dass dieser Mann ein unnatürliche
Leidenschaft für Euthydemus hatte, und dass ihre Heftigkeit ihn so kopflos
werden ließ, dass er die Grenzen der Natur überschritt, brachte er, von dessen Verhalten
geschockt, die äußerste Kraft des Verstandes und der Argumentation auf, um ihn von
diesen wilden Begierden abzubringen. Und als die Heftigkeit von Critias’ Leidenschaft
jedem Hindernis oder jeder Kontrolle Hohn zu lachen schien und der mäßige Tadel
Sokrates’ missachtet worden war, brach der Philosoph aus glühendem Eifer für
die Tugend in eine solche Sprache aus, die sofort seinen starken inneren Sinn
für Anstand und Ordnung und die monströse Ungeheuerlichkeit von Critias’ Leidenschaft
bekanntgab. Dieser ernste aber gerechte Tadel Sokrates’ wird angenommen als die
Grundlage des Grolls, den er danach immer
gegen ihn hegte; denn während der Tyrannei der Dreißig, von denen Critias
einer war, als er zusammen mit Charicles die Zivilregierung der Stadt versah, unterließ
er es nicht, sich dieser Kränkung zu erinnern, und rächte sich dafür mit einem
Gesetz, das es verbot in Athen die Kunst der logischen Denkens zu lehren. Und
da er nichts hatte, was er Sokrates im Einzelnen vorwerfen konnte, arbeitete er
daran, ihn verhasst zu machen, indem er ihn mit den üblichen Dingen verleumdete,
die gegen alle Philosophen erhoben werden. Denn ich habe Sokrates nie sagen
hören, dass er diese Kunst lehre, noch habe ich irgendeinen Mann gesehen, der
ihn das je hätte sagen hören. Aber Critias war beleidigt und bewies das
hinlänglich. Denn nachdem die Dreißig den Tod einer großen Anzahl von Bürgern verursacht
hatten - sogar der Berühmtesten - und die Zügel gelockert hatten für alle möglichen
Arten der Gewalt und Plünderung, sagte Sokrates an einem bestimmten Ort, er
frage sich, ob sich ein Staatsminister, der jeden Tag die Anzahl der Bürger
verringert und die anderen liederlicher macht, nicht seines Amtes schämt und sich
nicht selbst eingesteht ein schlechter Beamter zu sein. Das wurde Critias und
Charicles berichtet, die unverzüglich nach Sokrates sandten und ihm das Gesetz
zeigten, das sie gemacht hatten und das ihm verbot, vor jungen Männern Vorträge
zu halten. Daraufhin fragte Sokrates sie, ob sie ihm erlauben würden, eine
Frage zu stellen, eine Frage zu stellen, damit er über das informiert würde, was
er nicht verstand an diesem Verbot; und da ihm die Bitte bewilligt wurde,
sprach er Folgendes: „Ich bin absolut bereit, Ihre Gesetzen zu befolgen; damit
ich sie aber aus Unwissenheit nicht übertrete, möchte ich von Ihnen wissen, ob
Sie die Kunst der Beweisführung verdammen, weil Sie glauben, dass Sie daraus
besteht, dass man die Dinge gut sagt oder dass man sie schlecht sagt? Wenn es
der erste Grund ist, dann müssen wir von nun an aufhören zu sprechen, wie wir
sollten; und wenn es Letzterer ist, ist es klar, dass wir uns bemühen sollten,
gut zu sprechen.“ Bei diesen Worten wurde Charicles leidenschaftlich und sagte
zu ihm: „Da Sie vorgeben, nichts von den Dingen zu wissen, die so leicht zu
wissen sind, verbieten wir Ihnen - auf welche Art auch immer - zu den jungen
Männern zu sprechen.“ „Es ist genug“, antwortete Sokrates, „aber damit ich
nicht in ständiger Ungewissheit bin, bitte beschreiben Sie mir, bis zu welchem
Alter Männer jung sind.” „Bis sie in der Lage sind, Senatsmitglieder zu
werden”, sagte Charicles. „Kurz gesagt, sprechen Sie mit keinem Mann unter
dreißig.“ „Wie?” sagt Sokrates, „Wenn ich etwas von einem Händler kaufe, der
noch keine dreißig Jahre alt ist, ist es mir verboten, ihn nach dem Preis zu
fragen?“ „Das meine ich nicht”, antwortete Charicles, „aber es überrascht mich
nicht, dass Sie mir diese Frage stellen, denn es ist Ihre Art, vieles zu
fragen, was Sie ganz genau wissen.” Sokrates fügte hinzu: „Und wenn ein junger
Mann mich auf der Straße danach fragt, wo Charicles wohnt oder ob ich weiß, wo Charicles
ist, darf ich ihm keine Antwort geben?“ „Das meine ich auch nicht.” erwidertet
Charicles. Hier sagte Critias, der ihr Gespräch unterbrach: „In Zukunft,
Sokrates, dürfen Sie nichts mehr mit den Händlern der Stadt, den Schuhmachern,
den Maurern, den Schmieden und andern Mechanikern zu tun haben, die Sie so oft
als Beispiele des Lebens anführen; und die, wie ich fürchte, Ihrer Rede
ziemlich müde sind.” „Ich darf dann ebenfalls“, erwidertete Sokrates, „die
Folgerungen nicht berücksichtigen, die ich aus diesen Reden ziehe, und nichts
mehr zu tun haben mit Gerechtigkeit, Frömmigkeit und den anderen Pflichten eines
guten Menschen.“ „Ja, ja”, sagte Charicles. Daran sieht man, welchen Umgang
Critias mit Sokrates pflegte und welche Meinung sie voneinander hatten. Ich
füge außerdem hinzu, dass wir nichts von einem Mann lernen können, den wir
nicht mögen. Darum erlebten Critias und Alcibiades keine große Verbesserung durch
Sokrates. Es ergab sich daraus, dass sie ihn nie mochten. Denn zu genau der
Zeit, als sie mit ihm sprachen, huldigten sie lieber der Konversation jener,
die mit öffentlichen Angelegenheiten betraut waren, denn sie hatten keine
andere Absicht als zu regieren. Insbesondere die folgende Besprechung des
Alcibiades Besprechung des Alcibiades über das Wesen der Gesetze, die er mit
Pericles, seinem Gouverneur führte - der der wichtigste Mann der Stadt war, als
er noch unter 20 Jahren alt war -, wird bestätigen, was ich vorgebracht habe. „Bitte”,
sagte Alcibiades, erklären Sie mir, was das Gesetz ist: denn da ich höre, dass
Männer gelobt werden, die das Gesetz befolgen, nehme ich an, dass dieses Lob
jenen nicht gegeben wird, die nicht wissen, was das Gesetz ist.“ „Es ist
leicht, dich zufrieden- zustellen”, antwortete Pericles. „Das Gesetz ist nur,
was die Leute in einer Generalversammlung verordnen, indem sie erklären, was getan
werden sollte und was nicht getan werden sollte.“ „Und sagen Sie mir”, fügte
Alcibiades hinzu, „bestimmen sie, was gut ist oder was schlecht ist?” „Ganz
bestimmt, was gut ist.” Alcibiades fuhr fort: „Und wie würden Sie das nennen,
was eine kleine Zahl von Bürgern anordnet in Staaten, wo nicht das Volk der
Meister ist, sondern alles auf den Rat einiger Personen hin befohlen wird, die
die Herrschaft haben?“ „Ich würde das, was sie anordnen, ein Gesetz nennen; denn
Gesetze sind nichts anderes als Verordnungen der Herrscher.” „Wenn ein Tyrann dann
irgendetwas bestimmt, ist das dann ein Gesetz?” „Ja, das ist es“, sagte
Pericles. „Aber was ist dann Gewalt und Ungerechtigkeit?“, fuhr Alcibiades
fort, „ist es nicht so, dass der Stärkste den Schwächsten dazu bringt, ihm zu
gehorchen, nicht durch Zustimmung, sondern nur durch Gewalt?” „Meiner Meinung
nach ist das so.“ „Daraus folgt also“. sagt Alcibiades, „dass Verordnungen, die
von einem Prinzen ohne Zustimmung der Bürger erlassen werden, absolute
ungerecht sind.” „Das glaube ich“, sagte Pericles; „und kann nicht erlauben, dass
die Verordnungen eines Prinzen, wenn sie ohne die Zustimmung des Volkes erlassen
wurden, als Gesetze bezeichnet werden dürfen.” „Und was die leitenden Bürger
anordnen, ohne die Zustimmung der größeren Zahl einzuholen, ist das dann
ebenfalls Gewalt?“ „Das steht außer Frage“, antwortete Pericles, „und allgemein
ist jede Verordnung, die ohne Zustimmung derer, die sie befolgen, gemacht wurde,
eher ein Gewaltakt, als ein Gesetz.” „Und wird das, was der Pöbel bestimmt, ohne
die Mitwirkung der Chefs ebenfalls als Gewalt gezählt und nicht als Gesetz?” „Das
ist ohne Zweifel so“, sagte Pericles, „aber als ich in deinem Alter war, konnte
ich all diese Schwierigkeien lösen, denn ich ließ es mir angelegen sein, sie zu
erforschen, so wie du es jetzt tust.“ „Bei Gott“, schrie Alcibiades, „was wäre
ich froh gewesen, wenn ich damals mit Ihnen hätte sprechen können, als Sie all
diese Themen noch besser verstanden.” Das war der Zweck ihres Dialogs. Critias
und Alcibiades machten jedoch nicht lange weiter bei Sokrates, nachdem sie
meinten, sich verbessert zu haben und gegenüber den anderen Bürgern, im Vorteil
zu sein. Denn abgesehen davon, dass sie seine Konversation nicht für sehr annehmbar
hielten, missfiel es ihnen auch, dass er es übernahm, sie wegen ihrer Fehler zu
tadeln; daher warfen sie sich sofort in die öffentlichen Angelegenheiten, da
sie nie etwas anderes als das vorgehabt hatten. Die gewöhnlichen Kameraden Sokrates’
waren Crito, Chaerephon, Chaerecrates, Simmias, Cebes, Phaedon, und ein paar
andere, von deinen keiner mit ihm Umgang pflegte, um wortgewandt zu werden, um
wortgewandt zu werden, weder in den Versammlungen des Volkes noch in den
Gerichtshöfen vor den Richtern, sondern um ein besserer Mensch zu werden und zu
wissen, wie man sich seinen Hausangestellten, seinen Sozialkontakten, seinen
Freunden und seinen Mitbürgern gegenüber verhält. All diese Menschen führten sehr
unschuldige Leben; und gleich, ob wir ihre Jugend betrachten oder ihr Verhalten
in fortgeschrittenerem Alter untersuchen, wir finden, dass sie sich nie irgendeiner
schlechten Tat schuldig machten, ja sogar, niemals den geringsten Grund gaben
zu vermuten, dass sie es taten. Aber der Ankläger sagt, dass Sokrates die
Kinder ermutigte, ihre Eltern zu verachten, indem er sie glauben machte, dass
er fähiger als jene war, sie zu unterweisen; und dass er ihnen erzählte, dass
das Gesetz einem Mann erlaubt, den eigenen Vater in Ketten zu legen, wenn er ihn
des Wahnsinns überführen kann; und dass auf gleiche Weise es nur gerecht sei,
dass ein Mann mit herausragenden Sinnen einen anderen in Ketten legen lassen
kann, der nicht so viel Verstand hat. Ich kann nicht leugnen, dass Sokrates so
etwas gesagt haben mag; aber er meinte es nicht in dem Sinne, wie es der
Ankläger verstanden haben möchte.. Und er gab vollständig zu erkennen, was
seine Worte bedeuten sollten, als er sagte, dass derjenige, der vorgeben sollte,
andere aufgrund ihrer Unwissenheit in Ketten legen zu wollen, aus dem gleichen
Grund erlauben sollte, selbst von Männern in Ketten gelegt zu werden, die mehr
wissen als er. Es ist daher so, dass er so oft den Unterschied zwischen
Verrücktheit und Unwissenheit erörterte; und dann sagte er deutlich, dass Toren
und Verrückte tatsächlich in Ketten gelegt werden sollten, sowohl in ihrem
eigenen Interesse als auch in dem ihrer Freunde; dass aber die, die Dinge nicht
wissen, die sie wissen sollten, von jenen angeleitet werden sollten, die sie
verstehen. Der Ankläger sagt weiter, dass Sokrates nicht nur Männer lehrt, ihre
Eltern zu verachten, sondern auch andere Beziehungen. Denn er sagte, dass einem
Mann, der krank ist oder eine Gerichtsverhandlung habe, nicht seine Verwandten nützlich
sind, sondern seine Ärzte und Rechtsanwälte. Er behauptete weiterhin, dass
Sokrates, wenn er von Freunden sprach, sagte, dass es keinen Zweck hätte,
irgendjemand wohlgesonnen zu sein, wenn es nicht in unserer Macht stünde, ihm
zu dienen; und dass die einzigen Freunde, die wir wertschätzen sollten, diejenigen
sind, die wissen, was gut für uns ist und es uns lehren können. So, sagt der Anklager,
machte Sokrates, - indem er die Jugend davon überzeugte, dass er der weiseste
aller Männer und besonders fähig sei, andere auf den rechten Weg zur Weisheit
zu bringen - sie glauben, dass der Rest der Menschheit nichts sei, im Vergleich
zu ihm. Ich erinnere mich tatsächlich, ihn manchmal in dieser Art von Eltern,
Sozialkontakten und Freunden gesprochen zu haben; und er bemerkte außerdem, -
wenn ich mich nicht täusche - dass wir die Leiche bald begraben, wenn die
Seele, in der der Verstand wohnt, den Körper verlassen hat; und selbst wenn er
unserem nächste Verwandten gehört, bemühen wir uns, in außer Sicht zu bringen, so
schicklich, wie wir können. Weiterhin haben wir keine Skrupel, obwohl der
Mensch seinen eigenen Körper in großem Maße liebt, alles von ihm zu nehmen, was
überflüssig ist. Aus diesem Grund schneiden wir uns das Haar und die Nägel, wir
entfernen Hühneraugen und Warzen und begeben uns in die Hand eines Chirurgen und
ertragen Ätzmittel und Schnitte. und nachdem sie uns viel Schmerz erleiden
ließen, fühlen wir uns verpflichtet, sie zu belohnen; daher spucken wir auch
aus, denn die Spucke ist im Mund unnütz, sondern ist im Gegenteil störend. Aber
Sokrates wollte mit diesen oder ähnlichen Sprüchen nicht schlussfolgern, dass
ein Mann seinen Vater lebendig begraben sollte oder dass wir uns Beine und Arme
abschneiden sollten; er wollte uns nur lehren, dass das Nutzlose verachtenswert
ist, um jeden Menschen zu ermahnen, sich zu verbessern und sich anderen nützlich
zu erweisen. Mit dem Ziel, dass wir, wenn wir von unserem Vater, unserem Bruder
oder einer anderen Beziehung geschätzt werden wollen, uns nicht so sehr auf die
Abstammung und Blutsverwandtschaft verlassen sollten, statt uns zu bemühen, uns
immer denen gegenüber nützlich zu zeigen, deren Achtung wir erlangen möchten. Der
Ankläger spricht weiter gegen Sokrates; dass er so boshaft war, bei den
berühmten Dichter die Passagen auszuwählen, die die schlechtesten Anleitungen
enthielten, und dass er sie auf hinterhältige Art nutzte, um die Laster der
Ungerechtigkeit und der Gewalt inzuimpfen. Z. B. dieser Vers von Hesiod: „Tadle
nicht die Beschäftigung, sondern tadle den Müßigang.” Und er gibt vor, dass
Sokrates behauptete, diese Passage beweise, der Dichter wollte sagen, dass wir
keine Anstellung als ungerecht oder entehrend ansehen sollten, wenn wir uns
durch sie einen Vorteil verschaffen können. Das war den Gedanken Sokrates’
jedoch ganz fern; sondern er zog den Schluss, wie er immer gelehrt hatte, dass
Arbeit und Geschäft nützlich und ehrenwert für Männer sind, und dass Müßiggang etwas
Böses ist; dass die, die sich mit etwas beschäftigen, das gut ist, tatsächlich
beschäftigt sind; dass aber die Spieler und verkommenen Personen und all die
faul sind, die keine anderen Beschäftigungen haben als solche, die schädlich und
böse sind. Ist es in diesem Sinne also nicht wahr zu sagen: „Tadelt keine
Beschäftigung, sondern tadelt Faulheit!” Der Anklager sagte auch, dass Sokrates
oft aus Homer eine Rede des Ulysses zitierte; und daraus folgert er, Sokrates
lehrte, der Dichter riet an, den Armen zu schlagen und die einfachen Leute zu
missbrauchen. Aber es ist klar, dass Sokrates niemals eine solch wilde und
unnatürliche Schlussfolgerung aus den Versen des Dichters gezogen hätte, denn
er hätte gegen sich selbst gesprochen, da er arm war, wie übrigens alle
anderen. Er meinte damit nur,, dass dies Männer sind, die weder beraten noch
ausführen, die weder tauglich sind in der Stadt zu beraten noch in der Armee zu
dienen, und die nichtsdestotrotz stolz und unverschämt sind. Sie sollten zur
Vernunft gebracht werden, selbst wenn sie große Reichtümer besäßen. Und das war
es, was Sokrates wirklich meinte, denn er liebte die Menschen des niederen
Standes und drückte große Höflichkeit gegenüber allen möglichen Menschen aus;
es ging so weit, dass er, wenn er von Athenern oder Fremden konsultiert wurde, niemals
etwas von einem Mann für die Instruktionen nahm, die er ihm gab, sondern seine
Weisheit großzügig und ohne Lohn an alle Welt weitergab; während die, die durch
seine Freizügigkeit reich wurden, sich hinterher nicht so großzügig verhielten,
sondern den anderen sehr teuer verkauften, was sie nichts gekostet hatte. Und
da sie nicht von so entgegenkommendem Gemüt waren, vermittelten sie ihre
Kenntnisse nicht an Leute, die nicht die Macht hatten, sie zu entlohnen. Kurz
gesagt: Sokrates hat die Stadt Athen auf der ganzen Erde berühmt gemacht. Und
wie man von Lychas sagte, dass er die Ehre Spartas war, weil er auf eigene
Kosten alle Fremden behandelte, die zu den Festen der Gymnopaedies kamen, so
kann mit viel größerem Grund von Sokrates gesagt werden, dass er der Ruhm Athens
war; er, der sein ganzes Leben lang ständig seine Güte und seine Tugend
beisteuerte, und der, indem er aller Welt die Schätze eines unermesslichen Reichtums
offenbarte, einen Mann nur tugendhafter und mit besseren Ehrprinzipien als
zuvor aus seiner Gesellschaft entließ. seiner Gesellschaft entließ. Daher hätte
man ihn, meiner Meinung nach, - wenn er gemäß seiner Verdienste behandelt
worden wäre – mit öffentlichen Ehren bedenken sollen, statt ihn zu einem
schändlichen Tod zu verdammen. Denn gegen wen wird vom Gesetz die Todesstrafe
verordnet? Ist es nicht für Diebe, für Räuber, für Männer, die des Frevels
schuldig sind, für jene, die Menschen verkaufen, die frei sind? Aber wo in
aller Welt können wir einen Mann finden, der dieser Verbrechen weniger schuldig
ist als Sokrates? Kann von ihm gesagt werden, dass er mit dem Feind
korrespondierte, dass er je irgendeinen Aufruhr schürte, dass er je die Ursache
einer Rebellion oder irgendeines andern Unheils war? Kann irgendjemand zu
seinen Lasten vorbringen, dass er je dessen Besitz festgehalten oder ihm den
kleinsten Schaden zugefügt hätte? Wer er jemals irgendwelcher dieser Dinge
verdächtig? Wie ist es dann möglich, dass er der Verbrechen schuldig sein
sollte deren er angeklagt wurde, da es offenkundig ist, dass er, statt nicht an
die Götter zu glauben, - wie der Ankläger sagt - ihr aufrichtiger Anbeter war? Statt
die Jugend zu verderben, wie er weiterhin gegen ihn ausführt, machte er es zu seinem
obersten Anliegen, seine Freunde aus der Macht jeder schuldigen Leidenschaft zu
befreien und in ihnen eine glühende Liebe zur Tugend, zur Herrlichkeit, zur
Zierde, und zum Glück der Familien und auch des Staates zu entfachen? Und da
das Tatsache ist, (und es ist eine Tatsache, denn wer kann es leugnen?) ist es
nicht sicher, dass die Republik ihm gegenüber extrem zu Dank verpflichtet war
und ihm die größten Ehren hätte angedeihen lassen müssen?